Herr Chi sitzt - Tierkommunikation vor Ort

Oder: Die Aufgabe dieses Chihuahuas bei dieser Frau

 

Erlebnisbericht:

Eine ältere Frau ruft mich an. Sie möchte, dass ich ihren 8 Monate alten Chihuahuarüden zur Raison bringe. Wir vereinbaren einen Termin vor Ort.

 

Nachdem die Tür geöffnet wurde, werde ich gleich besprungen und interessiert beschnuppert. Schließlich bringe ich den Duft von zahlreichen Hunden mit. Wir begrüßen uns und die Dame erzählt mir, was ihr Sorgen bereitet. Ihr Chihuahua ist sehr aufgeregt, wenn sie raus geht und sie kann nicht in Ruhe irgendwo sitzen und Kaffee trinken. Er verbellt alles und jeden, möchte Kindern auf Fahrrädern oder Rollern hinterher und bleibt nicht sitzen. Während wir sprechen, bringt mir ihr Chi sein Spielzeug und fängt an zu kläffen. Wortlos und ohne einen Blick auf ihn nehme ich ihn an seinem Geschirr und lasse ihn auf seiner Decke Platz machen. Damit ist er natürlich überhaupt nicht einverstanden. Er wollte ja was ganz anderes.

 

Und so landet er bestimmt 30 Mal hintereinander wieder auf seiner Decke. Sie sagt, sie hätte schon immer Chihuahuas gehabt. Aber dieser hier benimmt sich schlimmer, als alle zusammen. Sie hätte auch schon Trainer da gehabt, die haben es auch nicht hinbekommen. Ich sammele das Spielzeug ein, dass überall verteilt liegt und bitte den Chi unermüdlich weiter, auf seinem Platz liegen zu bleiben. Dann entspannt er sich langsam auf seiner Decke und seufzt einmal laut. Frauchen kann es kaum glauben. Sie schreibt sich fleißig auf, was ich ihr mitteile und ist bereit, ihren Umgang mit Herrn Chi zu verändern. Schließlich hat er Stress und sie auch.

 

Wir machen weiter, ich zeige an ihr, wie es sich für ihren Hund anfühlen muss, wenn sie ihn im falschen Moment anschaut und den Unterschied, den sie fühlen kann, wenn ich da hin schaue, wo ich hin will (und wo der Hund hin soll), oder wenn ich sie einfach anschaue und auf sie einrede. Aha.

 

Sie holt dann die Leine und wir wollen raus gehen. Ihr Telefon klingelt, sie geht ran. Ich hocke mich zum Chi, der noch immer – man glaubt es kaum – auf der Decke liegt. Sogar den Kopf hat er abgelegt, nur die Augen verfolgen jeden unserer Schritte. Als ich ihn langsam berühre, dreht er sich auf den Rücken und lässt sich den Bauch streicheln. Er übermittelt mir, dass er bei seinem Frauchen ist, damit sie Geduld lernen kann.

 

Er muss so sein, sonst lernt sie es ja nicht.

 

Er wird von ihr geschlagen und angebrüllt, und grob an der Leine gezerrt. Ich bekomme Gänsehaut am ganzen Körper und höre aufmerksam weiter zu. Es ist ein echter Liebesdienst, den er für sie leistet. Und er wird dafür bestraft. Ich bedanke mich bei ihm für seinen Dienst und verspreche ihm, mein Bestes zu tun, um ihr alles zu vermitteln.

 

Ihr Telefongespräch ist vorbei, ich hocke noch immer beim Chi auf der Decke. Sie guckt mich an und ich sage ihr, warum ihr Chihuahua bei ihr ist, warum sie gerade IHN bei sich hat. Ihre Augen weiten sich, ihr Mund öffnet sich. Sie fragt einfach: Wirklich? Ich nicke und lächle. Und erkläre, dass sie beide Lehrer füreinander sind. Sie wirkt jetzt auf einmal ganz ruhig.

Dann zeige ich ihr, wie wir raus gehen. Sie braucht mir nicht zeigen, wie es sonst immer nicht funktioniert hat. Ab jetzt ist ja anders.

 

Wir gehen durchs Treppenhaus, Chi folgt mir. Blockiert. Probiert aus. Versucht, mich zu überholen. Richtungsänderung. Er blockiert. Läuft vor, wird gestoppt. Er blockiert wieder, es geht trotzdem weiter. Auf einmal wird die Leine locker, er schaut mich an. Ich atme tief, beantworte seinen Blick und dann gehen wir weiter. Er achtet auf mich, ich bedanke mich, indem ich ausatme.

 

Wir sind auf der Straße, er zieht an der Leine. Ich bleibe stehen, er geht aus dem Druck raus, lernt sehr schnell. Dann gehe ich weiter, Tempo, Richtungswechsel, er passt auf. Dann gehen wir da hin, wo er hin wollte. Er löst sich, schaut mich wieder an, ich beantworte seinen Blick mit einem Lächeln. Frauchen folgt uns, redet die ganze Zeit, wie es sonst ja nie ging usw. Ich lasse sie, sie verarbeitet.

 

Dann gehen wir ins Café, wo sie Hausverbot bekommen hat, weil Herr Chi so laut Randale gemacht hat. Mitten auf der Promenade. Wir haben eine kleine Decke mitgenommen. Direkt am Nebentisch ein kleiner Kläffer. Wir setzen uns. Ich bitte Herrn Chi, Platz zu nehmen, in die andere Richtung zu schauen und sich zu entspannen. Frauchen ist angespannt. Es dauert, bis er nach gibt. Unermüdlich und beharrlich bestehe ich darauf, dass er sich hin setzt und leise ist.

 

Die Minuten vergehen, Augenrollen am Nebentisch. Dann fiept er nur noch. Ich leite seine Energie durch mich durch und bitte ihn, sich zu entspannen. Er ist irritiert. Windet sich. Dann entspannt er sich für 10 Sekunden und ich gehe mit ihm wieder eine Runde. Er löst sich, achtet auf mich, so gut er kann.

 

Wir gehen wieder zurück an den Tisch. Beharrlich weigert er sich, leise zu sein und sich zu entspannen. Ein Mann redet auf mich ein, gibt mir gute Ratschläge und lässt sich über kleine Kläffer aus. Ich mache unbeirrt weiter, mein Fokus ist glasklar. Frauchen entspannt sich langsam, sie beobachtet mich endlich, saugt auf. Die Veränderung beginnt.

 

Sie übernimmt die Leine. 10 Sekunden sitzender Chi, dann geht sie los mit ihm. Es wird. Sie strengt sich an. Ich lächle.

Sie setzen sich wieder. Er kämpft, windet sich, sie bleibt ruhig und entspannt dran, ihr Fokus ist glasklar. Ihre Blicke treffen sich. Und er setzt sich endlich. Ohne gehalten zu werden. Ein paar Sekunden, sie atmet auf.

 

Es werden ein paar Minuten, Herr Chi sitzt. Kellner kommt und lobt. Sie lächelt erleichtert. Hätte nie gedacht, dass es so schwierig ist. Schwierig? Nein, schwierig ist was anderes.

 

Herr Chi sitzt und ist leise. Frauchen kann es nicht glauben. Kinder toben um uns rum, Hunde laufen vorbei. Unruhe pur. Frauchen und Herr Chi haben ihre Insel geschaffen. Ihr Fokus ist jetzt klar.

 

Dankbarkeit.